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#MeToo - unless you´re a Jew: Antisemitismus und die Verleugnung sexualisierter Gewalt in der Folge des 7. Oktobers

Rückblick zum sexualpädagogischen Salongespräch mit Rosa Jellinek und Sharon Adler am 19. Juni 2024 im Berliner Familienplanungszentrum – BALANCE

Das Familienplanungszentrums BALANCE engagiert sich seit über dreißig Jahren für das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. In unserer sexualpädagogischen Arbeit informieren wir über sexuelle Rechte, bestärken Betroffene von sexualisierter Gewalt und treten für die sexuelle Gesundheit aller Menschen ein - unabhängig von Alter, Herkunft, religiöser Ausrichtung, Status, Behinderung, Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung.
 Am 7. Oktober 2023 verübte die islamistische Terrororganisation Hamas mehrere Massaker an der israelischen Zivilbevölkerung, im Zuge dessen sexualisierte Gewalt und Folter systematisch als Kriegswaffe bzw. Terrormittel eingesetzt wurde (s. Bericht „Sexual Violence Crimes on October 7“ der Association of Rape Crisis Centers in Israel). Zudem wurden über 250 Menschen als Geiseln verschleppt, darunter 36 Kinder und Jugendliche. Der UN-Missions-Bericht aus 02/2024 konstatiert hierzu, das Team habe „klare und überzeugende Informationen erhalten, dass sexuelle Gewalt, darunter Vergewaltigung, sexualisierte Folter, grausame, inhumane und erniedrigende Behandlung gegen manche Frauen und Kinder während der Zeit der Gefangenschaft stattfand“ und habe „berechtigten Grund zur Annahme, dass diese Gewalt weiterhin stattfindet“ (S. 18, Original in Englisch).

Trotz dieser Berichte und der zahlreichen öffentlich zugänglichen Videoaufnahmen von geschlechtsspezifischen Misshandlungen durch die Hamas und ihre Mittäter wird von feministischen Akteur*innen bis heute geleugnet, dass es im Zuge des 7. Oktobers zu sexueller Gewalt kam – eine Verhöhnung der Opfer und ein massiver Rückschritt bzgl. der Anerkennung von sexualisierter Gewalt nach Jahren der #MeToo-Kampagnen.
Das war für uns Anlass Menschen zusammenzubringen, um über diese Ereignisse zu sprechen. Wie kann es sein, dass die Empathie gegenüber Opfern schwerster Formen sexualisierter Gewalt bewusst entzogen wird? Auch beschäftigte uns die Frage, welchen Einfluss die Ereignisse auf jüdische Menschen hier in Berlin haben. Wie erleben insbesondere jüdische Mädchen, Kinder und Jugendliche die aktuelle Situation?
Hierzu sprachen wir mit Rosa Jellinek und Sharon Adler, zwei jüdischen Aktivistinnen in Berlin, über ihre persönlichen und politischen Erfahrungen.

„Die Hamas retraumatisierte jüdische Frauen auf der ganzen Welt.“

Rosa Jellinek (Content Creatorin, Bildnerin und queer-jüdische Aktivistin) begann ihren Vortrag mit der eigenen Sprachlosigkeit: „Wie soll ich nicht-jüdischen Freundinnen erklären, was ich fühle? Wie sollen sie verstehen, dass mich ein Anschlag in einem Land, in dem ich nie gelebt habe, so tief verletzt?“ – und verwies auf den Verrat durch feministische Gruppen trotz der offensichtlichen Gewalt: „Selten wurde ein Terroranschlag so ausführlich dokumentiert. Wir alle haben diese Videos und Bilder gesehen. Wir haben verdrehte gebrochene Körper von Frauen gesehen. Haben gesehen, wie auf sie gespuckt und sie gedemütigt wurden. Und wir haben ihre blutverschmierten Hosen gesehen. Diese Bilder haben sich so tief in meinen Kopf eingebrannt, dass ich sie nie wieder vergessen werde. Mit dem Terror, den die Hamas Frauen und Mädchen in Israel angetan hat,
retraumatisierte sie jüdische und israelische Frauen auf der ganzen Welt.“ Das Verleugnen und Verharmlosen der Taten beschrieb sie als aktiven Beitrag zum Terror: „Feministische Gruppen, in denen ich mich bisher doch so wohl fühlte, die mir ein Gefühl von Sicherheit gaben, sagten – nichts. Sie schwiegen. Oder schlimmer noch: sie relativierten und leugneten, all diese Verbrechen, die mich in meinen Träumen verfolgten.“ – „Das werde ich
niemals verzeihen“. In ihrem Ausblick betonte sie die Bedeutung von Unterstützung und Solidarität: „Veranstaltungen wie die heutige, geben mir ein kleines bisschen Hoffnung. Dass es doch noch Menschen gibt, die uns glauben und die zuhören. Es gibt mir Hoffnung, dass wir es als jüdische Feminist*innen schaffen, nicht zu schweigen, sondern Worte zu finden, einander zu empowern und für uns einzustehen“

„Das Verschweigen ist eine absolute Bankrotterklärung des Feminismus.“

Sharon Adler (Journalistin, Fotografin, Gründerin des Online-Magazins AVIVA Berlin & Trägerin des Berliner Frauenpreises) benannte, unter Verweis auf RIAS e.V. – Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus, den enormen Anstieg antisemitischer Straftaten in der Folge des 7. Oktobers und die zunehmende Entsolidarisierung mit der jüdischen Community weltweit: "Antisemitismus zeigt sich gewaltvoller und enthemmter“. In Hinblick auf den Überfall der Hamas konstatierte sie: „Für mich ist seit dem 7. Oktober jeder
Tag, jede Nacht der 7. Oktober. Denn für mich und die jüdische Community weltweit ist seit dem 7. Oktober 2023 die Welt eine andere.“ Sie stellte insbesondere transgenerationale Bezüge hinsichtlich der sexuellen Gewalt her und verwies in dem Kontext auf die Wichtigkeit, dies im Bildungskontext zu betrachten und zu bearbeiten: „Hier und heute erleben wir, was mit dem Begriff Generationsübergreifende Traumata gemeint ist. Und heute ist die Zeit, auch nichtjüdische Lehrkräfte dafür zu sensibilisieren, genau das in den Blick zu nehmen, sich fortzubilden, mit Jüdinnen und Juden zu sprechen und deren Erfahrungen mit in den Unterricht, aber auch in Fachgremien zu kommunizieren.“ Sharon Adler kritisierte das Schweigen zahlreicher Frauenrechtsorganisationen und Feministinnen weltweit und konstatierte: „Rape is Rape. Gewalt gegen Frauen ist ein Verbrechen. Ich frage: Passt das Leid der Israelinnen nicht in die Narrative feministischer Organisationen? Sind jüdische Opfer sexualisierter Gewalt weniger wert? #MeToo_UNless_UR_a_Jew! Das Schweigen und Verschweigen ist – für mich - eine absolute Bankrotterklärung des Feminismus

„Man sieht uns das Jüdischsein nicht an der Nasenspitze an!“

Lisa Frey (Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin i.A., Fachliche Leitung Sexualpädagogik im FPZ BALANCE) moderierte die anschließende offene Diskussion mit dem Publikum. Es wurden eigene Erfahrungen der Diskriminierung geteilt ebenso wie Möglichkeiten der Unterstützung und Solidarität besprochen. Die sexuelle Gewalt gegen Frauen in Israel wie auch die ausbleibenden Reaktionen feministischer Verbände fanden klare Ablehnung und Kritik. Betont wurde außerdem: wir als (sexual-)pädagogische Fachkräfte sollten stets davon ausgehen, dass jüdische Kinder und Jugendliche an unseren Bildungsveranstaltungen teilnehmen – auch wenn dies nicht immer offensichtlich ist, etwa weil Kippa oder Davidstern aus Sicherheitsgründen verdeckt werden.
Ihre Perspektive zu berücksichtigen und ein Verständnis von Antisemitismus zu entwickeln muss eine Selbstverpflichtung der Sexualpädagogik sein, wenn sie das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung aller Menschen im Blick haben will.

Wir bedanken uns bei allen Beteiligten für das Interesse und den wertschätzenden und respektvollen Austausch.