Mindestens die Hälfte aller Partnerschaften haben ein_e Partner_in, welche_r in der Kindheit traumatisiert worden ist (Michaela Huber). Das Familienplanungszentrum BALANCE e.V. ging diesem Thema letzten Mittwoch nach. Die eingeladenen Referent_innen zeigten die Vielfalt dieses Thema auf und unterfütterten ihre Vorträge mit interessanten Beispielen aus ihrer Arbeitspraxis mit traumatisierten Paaren. Die ca. 25 Teilnehmenden machen größtenteils Beratung oder Psychotherapie mit Paaren.
Bertram Wohlenberg, Dipl.-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut bei der EFB der AWO Berlin und in eigener Praxis stimmte uns als erster Referent zunächst musikalisch auf das Thema ein mit dem Lied "Lass uns n Wunder sein" von TonSteineScherben. Eine kurze Einführung zum Thema „Trauma“ machte deutlich, dass der Begriff sowohl ein Konstrukt als auch ein unscharfer Begriff ist, der hochempfindlich und politisch aufgeladen ist.
Herr Wohlenberg hat neben der Seite der Paare: "Das Thema Trauma wird von den Paaren in der Regel nicht angeboten aus Scham, Vermeidung/Verdrängung oder der Vorstellung, es spiele doch hier in einer Paarberatung keine Rolle" auch die Berater_innen und Therapeut_innen im Blick. Es stellt sich für die Berater_innen die Frage "Wollen wir es wirklich wissen?". Denn es gibt Ängste, die Klient_innen zu verschrecken, Re-Traumatisierungen auszulösen oder auch die Angst, überfordert zu sein, mit dem was dann berichtet wird. Gleichzeitig hat er uns ermutigt die "Trauma-Brille" anzuziehen, das Thema zu benennen, ihm ein Platz in der Paartherapie zu geben, den sozialen/gesellschaftlichen und politischen Kontext zu besprechen und die Klient_innen als Expert_innen zu sehen: „Sich zu schützen und weiterschicken" – also in eine spezialisierte Traumapsychotherapie weiterzuvermitteln. Diese sind weiterhin wichtige Ratschläge, die Berater_innen beachten sollten sowie auch Strategien wie die Ressourcenaktivierung und Psychoedukation.
Bettina Strehlau, Dipl.-Psychologin, Hebamme und systemische Therapeutin/Familientherapeutin (SG) in eigener Praxis berichtete von ihren Erfahrungen mit Paaren, die ein Kind bereits vor der Geburt verloren haben. Ihrer Erfahrung nach gibt es eine sehr sensible Zeit vor der 24. Schwangerschaftswoche, da der Bauch für die Außenwelt noch nicht sichtbar ist, aber die Schwangerschaft für die Frau bzw. das Paar bereits sehr präsent ist. Paare, die Kinder in dieser Zeit verlieren, bekommen von der Außenwelt nicht immer die Unterstützung, die sie benötigen. Ganz wichtig für die Trauerarbeit der Eltern sei, das Kind anzusehen, um besser Abschied nehmen zu können. Auch empfehlenswert sei es, dem Verlust einen Raum zu geben und ihn zu benennen, weil: „der Trauerprozess für jeden anders ist“. Konsequent sprach Frau Strehlau von Kindern und nicht von Embryonen, Feten bzw. Föten, "da es für die Paare ihre Kinder waren". In die Kinderwunschbehandlung ist jede Fehlgeburt für das Paar ein verlorenes Kind, wird jedoch gesellschaftlich oft nicht als dieses anerkannt: „[…] mit der gemeinsamen Begriffsbestimmung versuche ich zu arbeiten, weil dann kann auch die Traurigkeit kommen.“
Dr. Martin Merbach, Dipl.-Psychologe und Paarberater beim Verband Binationaler Partnerschaften Berlin und Dozent am Evangelischen Zentralinstitut für Familienberatung brachte die kulturelle Perspektive in das Thema ein. Die Verarbeitung der Traumatisierung ist etwa nicht nur individuell abhängig, sondern auch kollektiv – was in einer Kultur oder einem Kollektiv als traumatisierend betrachtet wird, ist häufig sehr unterschiedlich. Auch der Begriff „Trauma“ ist kulturell bedingt und „es gibt ein kollektiver Umgang mit Traumata“. Die Bewältigungsstrategien können demnach auch unterschiedlich sein: „Alle Gefühle sind kulturübergreifend aber es gibt unterschiedliche Ausdrücke/Expressionen dafür.“ Was manche für hilfreich halten (z.B. Psychotherapie) kann woanders als wenig sinnvoll gesehen werden. Andere Weltanschauungen setzten zur Bearbeitung traumatischer Erlebnisse Besuche in den Tempel oder das Beten voraus. Bei Paaren aus zwei unterschiedlichen kulturellen Milieus können diese Aspekte eine Rolle spielen und sowohl als etwas Trennendes oder aber Verbindendes erlebt werden.
Im Anschluss an die Vorträge entwickelte sich eine angeregte Diskussion zwischen dem Podium und den Anwesenden, in welcher es u.a. um transgenerationale Traumata ging sowie die Entwicklungsmöglichkeiten von Paaren, in denen eine Person ein Trauma erlebt hat.