„Der Schwangerschaftsabbruch sollte vollständig entkriminalisiert werden. Gesetzliche, politische und programmatische Hindernisse – sowie Hindernisse in der Praxis –, die den Zugang zu hochwertiger medizinischer Versorgung beim Schwangerschaftsabbruch behindern, sollten beseitigt werden. Dazu gehören unter anderem Fristen für Schwangerschaftsabbrüche und verpflichtende Wartezeiten.“* Diese Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO zum Schwangerschaftsabbruch ignorieren viele Staaten, darunter bislang auch Deutschland. Darauf weist der pro familia Bundesverband anlässlich des Internationalen ‚Safe Abortion Days‘ hin, der am 28. September weltweit begangen wird. Bei der überfälligen gesetzlichen Neuregelung in Deutschland müssen die WHO-Empfehlungen berücksichtigt werden, fordert der Verband. Um Schwangere zu unterstützen – nicht zu bevormunden – ist es außerdem notwendig, statt der Beratungspflicht vor einem Schwangerschaftsabbruch ein Recht auf Beratung festzuschreiben.
Bislang gilt, dass schwangere Personen vor einem gewünschten Schwangerschaftsabbruch eine verpflichtende Beratung aufsuchen. Dies ist im Strafrecht festgelegt und bedeutet in der Konsequenz, dass Schwangeren ohne Beratung der Zugang zum Schwangerschaftsabbruch verwehrt ist.
Die Erfahrung von pro familia Berater*innen mit der bisherigen Pflichtberatung zeigt, dass schwangere Menschen Angst vor Entmündigung und Fremdbewertung ihrer Entscheidung haben. Diese Gesprächssituation erschwert Berater*innen den Zugang zu den Klient*innen und damit die Möglichkeit, sie zu unterstützen. Schwangere erwarten von der verpflichtenden Beratung, dass sie von der Fortführung der Schwangerschaft überzeugt werden sollen. Daraus ergibt sich oft eine negative Abwehrhaltung und eine Fixierung auf das Ausstellen des Beratungsscheins.
Deshalb spricht sich pro familia für ein Ende der Beratungspflicht und für ein Recht auf freiwillige Beratung aus, die ungewollt Schwangere in Anspruch nehmen können, aber nicht müssen. Um dabei unterstützt zu werden, für ihre Problemlagen und Konflikte tragfähige Lösungen zu entwickeln, muss ihnen werteneutrale Akzeptanz entgegengebracht werden, ohne dass sie sich in eine Richtung gedrängt, bevormundet oder schuldig gesprochen fühlen.
Die Bedürfnisse, mit denen Menschen in die Beratungsstellen von pro familia kommen, sind vielfältig und betreffen alle Themenbereiche der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte. Es geht um medizinische und gesundheitliche Fragen, sozialrechtliche Regelungen und finanzielle Hilfen oder um psychosoziale Fragen rund um das Thema Partnerschaft und Sexualität sowie häusliche und sexualisierte Gewalt. Diesen Bedürfnissen gerecht zu werden und damit die sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte zu stärken, ist der Auftrag von Beratungsarbeit. Dafür müssen alle Menschen Zugang zu freiwilligen und umfassenden Beratungsangeboten zu allen Themen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte und zu sexueller Bildung haben. Beratung und Informationen sollten partizipativ und ergebnisoffen sein und schwangere Menschen als Rechteinhaber*innen in Hinsicht auf ihre selbstbestimmte Entscheidungsfindung stärken. So verstanden stärkt das Recht, Beratung wahrzunehmen zu können, Menschen in ihrer selbstbestimmten Lebensplanung und ermöglicht ihre Teilhabe in einer demokratischen Gesellschaft.
pro familia hat Kriterien für freiwillige Informations- und Beratungsangebote sowie sexuelle Bildung formuliert, wie sie im Rahmen einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs verankert werden sollten. Dazu gehört die leichte Zugänglichkeit von – barrierefreien und kostenlosen –Beratungsangeboten. Jeder Mensch, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Beeinträchtigung, sozialem Status, Religion, Weltanschauung, Alter, Gesundheitszustand oder sexueller Orientierung, sollte Zugang haben. Es müssen alle Themen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit umfassend abgedeckt werden: Sexuelle Bildung, Familienplanung, Schwangerschaftsberatung, Verhütungsberatung, Unterstützung bei ungeplanter/ungewollter Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch, Partnerschaft, Sexualität, unerfüllter Kinderwunsch und Reproduktionsmedizin, Pränataldiagnostik und vieles mehr. Die Beratungsangebote müssen zudem ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen erhalten und bestimmten Qualitätsanforderungen genügen.
Mehr Informationen zu pro familia Positionierung und zur Forderung nach freiwilligen Beratungsangeboten gibt es hier:
https://www.profamilia.de/fachinfos/nach-themen/zugang-zum-schwangerschaftsabbruch
Mehr Informationen zum Safe Abortion Day 2023 gibt es hier:
https://safeabortionday.noblogs.org/
27.9.2023
*WHO-Empfehlungen zum Schwangerschaftsabbruch:
https://srhr.org/abortioncare/chapter-2/